Mittwoch, 26. Oktober 2016

Sexueller Missbrauch an amerikanischen Colleges? Pssst, leise!!!

Seit Beginn des Semesters, 30. August 2016, wurden am Hope College 5 sexuelle Missbräuche gemeldet. Mit anderen Worten: Seit Beginn des Semesters hat durchschnittlich öfter als alle zwei Wochen sexueller Missbrauch on Campus stattgefunden. In nur acht Wochen waren also bereits 0,33% aller Studierenden dieses Colleges (als Täter/in oder Opfer) in sexuellen Missbrauch verwickelt.
Ich saß mit einer Bekannten in der Dining Hall und wir unterhielten uns über das College. Es kam zur Sprache, wie sicher Holland doch sei und, dass man sich an diesem kleinen, privaten, christlichen College vor nichts fürchten müsse. Das Mädchen, mit dem ich essen war, zog ihre Augenbrauen hoch. "Hast du es nicht gehört?" - Nein, ich hatte es nicht gehört. Sie erzählte mir, dass die Residential Assitants alle eine Email erhalten hätten, in der von vier Vergewaltigungen die Rede gewesen sei. Mehr wisse sie aber auch nicht. Na gut, die Aufklärung kommt bestimmt noch, schließlich kann eine solche Reihe an Straftaten an einem so kleinen College ja nicht unkommentiert bleiben. Kann sie doch.
Ich hielt meine Ohren und Augen offen. Keine Informationen vonseiten unserer Residential Assistants. Keine offene "Talk about it"-Runde. Nichts. Ich sprach meine Mitbewohnerinnen darauf an, die mir entweder keine richtige Antwort gaben, oder sagten "Wenn man im Minirock zu Partys geht und Alkohol trinkt..."
Alkohol ist keine Entschuldigung!!
Ich war mir sicher, dass die Täter/innen schon lange festgenommen wären, schließlich waren sie "reported" worden. Ich machte mir also nicht viele Gedanken darüber, bis mir irgendwann zufällig das Thema durch den Kopf ging. Als ich danach googelte, fiel mir fast die Kinnlade herunter. Waren die Taten gemeldet worden? Ja. War bekannt, wer die Täter/innen waren? Ja. Wurde bereits gegen die Täter/innen ermittelt? Nein.
Es heißt, die Geschädigten hätten sich an die Campus Safety und die psychologische Beratungsstelle des Colleges gewandt, aber sie würden keine Ermittlungen der Polizei wollen. Als ich mein Auslandsjahr begann, stellten sich diese Institutionen in der Orientierungsphase vor und sagten klar und deutlich, dass sie zwar vertraulich wären, aber sobald sie von einer Straftat hören würden, verpflichtet seien, dies an die Polizei weiterzuleiten. Brechen diese Institutionen hier wirklich in aller Öffentlichkeit die Regeln und es wird geduldet?
Auch wenn dieser User für "Wahrheit" plädiert, geht er doch davon aus, dass die Opfer einen "False report" gemacht haben?!
Campus Safety ist eine Art Campus-Polizei. Wir sprechen hier nicht von der Polizei der Vereinigten Staaten, sondern von einer Institution, die es zwar an jedem College gibt, die aber von jedem College privat engagiert und verwaltet wird. Campus-Safety ist, so wurde uns immer wieder gesagt, für alles der erste Ansprechpartner. Ungeziefer im Haus, Verletzungen, materielle Schäden in den Dorms, Straftaten on Campus: Ihre Nummer ist die erste, die wir wählen sollen.
Warum also melden vier Mädchen die sexuellen Missbräuche nicht direkt der Polizei, sondern den universitären Institutionen? Weil es ihnen seit dem ersten Semester eingebläut wird, weil sie sich schnelle Hilfe erhoffen und weil sie sich auf das College verlassen.
Bis heute sind die Schuldigen nicht festgenommen und noch nicht einmal vom College suspendiert. Sie gehen jeden Tag zu ihren Kursen, sitzen Sonntags in der Kirche und treffen sich mit ihren Freunden. Dieser Campus ist 3000 Studenten groß: Es ist darauf Verlass, dass man sich sehr viel öfter als zwei Mal im Leben sieht.
Man kann nun viel davon reden, dass das ein falsches Zeichen setzt, aber am Ende passiert es ja doch nicht noch einmal...dachte ich. Aber dieses Mal hat das falsche Zeichen Wirkung gezeigt. Vor einer Woche hat erneut ein sexueller Missbrauch auf dem Campus stattgefunden. Ist die Tat gemeldet worden? Ja. Ist bekannt, wer die/der Täter/in war? Ja. Wurde gegen den/die Täter/in ermittelt? Nein.
8 Wochen. 5 sexuelle Missbräuche. 0 Ermittlungen.
Unglaublich.
Im Internet werden Kommentare groß, in denen behauptet wird, dass es ja nicht ernst zu nehmen sei, wenn die Opfer nicht einmal bereit dazu gewesen seien, eine Aussage bei der Polizei zu machen. Ich möchte hier ganz klar sagen, dass Campus-Safety für die Studierenden hier "richtige Polizei" bedeutet. Und ich denke, dass wir hier auch das zentrale Problem finden.
In Amerika ist Bildung ein Geschäft. Die Colleges leben von Geld. Geld kommt dann, wenn die Leute bereit sind, viel für die Schule zu bezahlen. Leute sind dann dazu bereit, wenn die Schule einen guten Ruf hat. Wenn in offiziellen Statistiken aber sexueller Missbrauch mit auf der Liste steht, kann der gute Ruf schon mal leiden. Das Ziel eines Colleges ist es also, so wenige Prozesse wegen Straftaten in der Evaluation zu haben, wie möglich. Und Prozesse kommen nur dann, wenn es eine Anzeige gibt.
Genau so ist es: Hope College sagt nichts und gibt damit sein "Ok"...
Opfer, die bereit sind, diese Vorfälle zu melden und dann plötzlich zu keiner Anzeige mehr bereit sind. Eine Campus-Safety, die von dem College selbst gesteuert wird. Fällt das Hope College da vielleicht unter die unzähligen Fälle, die kürzlich bekannt wurden, in denen es darum ging, dass nahe zu alle amerikanischen Colleges Meldungen sexuellen Missbrauchs totschweigen, zum Teil sogar verleugnen, um keine schlechtes Exposé zu veröffentlichen? (Siehe http://thehuntinggroundfilm.com/2016/06/its-on-us-to-see-act-stop/)
 Ohne Hope College selbst "angreifen" zu wollen, liegt dieser Gedanke nah. Des Weiteren ist das Thema Sexualität in Amerika einfach ein ganz anderer Gegenstand als in Deutschland. Hier spricht man nicht darüber, selbst wenn es um Gewalt geht - oder gerade dann. Es gibt sogar eine präventive alljährliche Aktion zum Thema "Vergewaltigung", bei welcher Studierende T-Shirts mit Nachrichten darauf gestalten, welche dann in den Dining-Halls aufgehängt werden. Dort war unter anderem zu lesen "They can take your innocence, but they can't take your soul". Hier ist nicht von Jungfäulichkeit, sondern von Unschuld die Rede. Ein Ausdruck mir Implikation...
Wir reden hier von einem sehr christlichen College. Manchmal habe ich allerdings das Gefühl, dass die allgemeine Verbundenheit zur Religion die Leute hier so unter Druck setzt, dass es sie daran hindert, für ihre Interessen aufzustehen.
Ich habe keine Angst, weil ich denke, dass es mir auch passieren könnte. Ich habe Angst, weil ich nicht will, dass jemand damit durchkommt, wenn er/sie einer Person den Rest des Lebens zerstört. Weil die "Safety" auf dem Campus eine Lüge ist. Ich habe Angst, weil ich wahrscheinlich Tag für Tag an den Täter/innen vorbei laufe und nicht einmal weiß, was sie getan haben. Weil die Opfer hilflos sind und weil ihnen die Schuld für "false report" zugeschoben wird und das, weil es jeder weiß, aber niemand hört. Und vor allem habe ich Angst, dass andere Opfer jetzt gar nichts mehr sagen. 
Durchschnittlich wird eine von fünf Frauen während ihrer Zeit am College sexuell missbraucht. 80% aller Missbrauchten melden die Tat nicht. 99,4% aller Sexual-Straftäter in den USA kommen ungestraft davon. (https://www.rainn.org/statistics/criminal-justice-system)
8 Wochen. 5 gemeldete sexuelle Missbräuche. 0 Ermittlungen.
Es steht schlimm genug um euer Land, Amerika. Wählt nicht auch noch Trump.

Freitag, 14. Oktober 2016

Mit Diabetes in die USA - Just (don't) do it!

Dafür, dass mir die Ärzte damals versprachen "Du wirst, auch mit Diabetes, ein ganz normales Leben wie jeder andere führen!", ist diese Krankheit ein viel zu zentrales Thema in meinem Alltag. Da ich es aber nicht einsehe, mein ganzen Leben Kompromisse zu schließen, laufe ich - was meine Diabetes angeht - immer mal wieder gern mit dem Kopf durch die Wand:
Als ich endlich die Zusage für mein Stipendium am Hope College hatte, musste ich mich also auch damit beschäftigen, wie ich in dieser Zeit meine Krankheit bezahlen würde. Ich telefonierte Krankenkasse um Krankenkasse ab, aber mit jedem Anruf, bekam ich eine weitere Absage: Die Krankenkasse waren alle dazu bereit mich für unvorhersehbare Krankheiten und Unfälle zu versichern, aber unter der Bedingung, dass jegliche Kosten meiner Diabetes ausgeschlossen wären. Ein ganz besonders freundlicher Mitarbeiter der privaten Partner-Krankenversicherung meiner KV fasste meinen Fall im besonders sympathischen Versicherungsangestellten-Ton so zusammen: "Wir werden uns ganz bestimmt keinen Schaden einkaufen - und bei allem Respekt, ökonomisch gesehen, sind Sie genau das für uns."
Zwischenzeitlich dachte ich, dass sich mein ganzes Auslandsjahr damit für mich erledigt hätte, denn es steht außer Frage, dass all die Dinge, die ich benötige (wie Insulin, Verbrauchsmaterial für die Insulinpumpe, Arztbesuche, ...), selbst in Deutschland auf Dauer unbezahlbar sind, wenn man diese Kosten privat tragen muss.
Da man in Deutschland aber nicht nur eine Versicherungspflicht, sondern auch ein Recht auf Versicherung hat, setzte ich mich mit meiner deutschen Krankenversicherung in Verbindung. Um nicht zu lügen: Auch diese versuchten erst einmal mich abzuwimmeln, aber hier profitierte ich dann einmal von meiner Sturheit bezüglich meines Lebens mit Diabetes. Ich fand heraus, dass die Krankenkasse gesetzlich dazu verpflichtet ist, meine Medizinkosten zu übernehmen, wenn ich mindestens drei Absagen von Krankenkassen für Auslandsversicherungen nachweisen könne. Ich nervte die Mitarbeiter der Kasse also so lange, bis wir uns auf den Deal einigten, dass sie die Kosten für meine Diabetes zumindest in dem Ausmaß der deutschen Kosten decken würden. Keine perfekte Lösung, aber besser als nichts.
Die Kosten für Insulin in Deutschland.
In Deutschland darf ein Arzt nur dann Rezepte verschreiben, wenn der Patient mindestens einmal im Quartal in die Sprechstunde des Arztes kommt. Und auch die Mengen an Medikamenten, die ein Arzt verschreiben darf, sind strikt begrenzt. Mit aller Kraft versuchte ich die Krankenkasse dazu bewegen, in meinem besonderen Fall eine Ausnahme zu machen, sodass ich genug Insulin für ein Jahr in die USA mitnehmen könnte. Aber es scheint, dass jeder Mitarbeiter der Krankenkasse Hase heißt und von nichts weiß - mir konnte jedenfalls niemand eine vernünftige Beratung gewähren. 
Die Kosten für Insulin in den USA.
Um die Gesetzte der Ärzte zu umgehen, probierte ich es also mit einem anderen Deal: Ich versuchte die Krankenkasse dazu zu überreden, einzuwilligen, dass ich zu verschiedenen Ärzten ginge, die mir alle unabhängig von einander Insulin verschreiben könnten. Da ich das Insulin aber mit meiner Krankenkassen-Karte bezahle, brauchte ich die Einwilligung der KV, dass sie die Kosten übernehmen würden. Es ging nur um diese eine Zusage: "Ja, wir werden für die Kosten der Jahresmenge an Insulin auf einen Schlag aufkommen".
Niemand (!) konnte mir diese Zusage geben. Ebenso wenig konnte mir jemand sagen, dass es nicht möglich ist. Selbst, als ich mich von einem Vorgesetzten zum nächsten und über alle möglichen Fachabteilungen hinwegtelefonierte, war es niemandem möglich mir eine verbindliche (und freundliche) Zu- oder Absage zu geben.
Die einzige Zusage, die ich mir sichern konnte war, dass die Versicherung einem einjährigen Dauerrezept für Verbrauchsmaterial der Insulinpumpe zustimmte. Damit konnte ich sichern, dass diese Produkte in regelmäßigen Abständen zu meiner Mutter geschickt werden, ohne dass ich zum Arzt muss. Meine Mutter schickt diese Produkte dann wiederum zu mir. Ja - es ist alles wahnsinnig kompliziert.

So kam es dann, dass ich mit nur recht wenig Insulin und anderem Diabetes-Kram in die USA loszog. Die Einreise war (wie gewohnt) eine einzige Tortur. Dieses Mal wurden meine Medikamente nicht nur einmal, sondern drei Mal durch den Security-Check gejagt (auch beim dritten Mal wandelte es sich nicht zu Sprengstoff...) und wurden dann auch direkt auf dem Band vergessen, sodass erst niemand wusste, wo meine Sachen nun waren. Ich hätte beinahe meinen Anschlussflug verpasst - hier nochmal ein herzliches Dankeschön an den Flughafen Manchester.
Seitdem ich in den USA war, war das alles dann kein Problem mehr. Ich hatte Insulin für die ersten zwei Monate dabei und hatte bereits einen Arzt gefunden, der mir mein Rezept verschreiben würde. Hiervon war ich auch sehr begeistert, denn das Hope College hat hier für jeden Studenten eine Art Fond, der sichert, dass man (auch ohne Versicherung) keinen Arztbesuch on Campus bezahlen muss. Ich bekam sogar eine "Rabatt-Karte", mit der ich Prozente auf Insulin bekomme. Und ja: Wir haben eine eigene Arztpraxis, eigene Krankenschwestern und einen eigenen Arzt in einem kleinen College mit 3000 Studierenden...
In Deutschland hatte ich mich bereits informiert: Allen Informationen (via Google) zufolge, würde mich das Insulin rund 200€ mehr kosten, als in Deutschland. Teuer aber machbar. Ich ging also zur Pharmacy, gab ihnen meine Rabattkarte und fiel fast hinten über, als mir die Apothekerin mit einem strahlenden amerikanischen Lächeln entgegenflötete "That's a total of $1200 with your discount card". Zum Vergleich: In Deutschland zahlt man für die gleiche Menge Insulin (ohne Rabatt!) zwischen 200 und 300 Euro.
An dieser Stelle hatte ich einen meiner ersten ernsthaften mentalen Breakdowns. Ich fühlte mich nicht nur ungerecht behandelt, sondern hatte auch ein Gefühl von Panik im Körper, da es hier schließlich um das Mittel geht, das mich am leben hält.
Und ganz ehrlich: Wer weiß, ob ich mein Auslandsjahr sogar abbrechen hätte müssen, wenn ich nicht so eine umwerfende Familie hätte.
Meine Eltern wollten die amerikanischen Kosten übernehmen. Aber ganz abgesehen davon, dass ich mit dem Stipendium finanziell unabhängig sein wollte, wäre es mir gar nicht möglich, so viel mit meiner 1000€-limitierten Studenten-Kreditkarte zu bezahlen. Und all das Geld aus dem Geldautomaten zu beschaffen, hätte Wochen gedauert, da ich auch ein Limit habe, wie viel ich pro Tag/Woche abheben kann.
Meine Helden! Danke! <3
Meine liebe, liebe Familie setzte dann aber mit vereinten Kräften alles in Bewegung, um mir zu helfen: Meine Schwester, welche mich eine Woche später eh besuchen sollte, brachte einen Arzt in Beratung mit meinen Eltern dazu, Rezepte für Insulin auszustellen, obwohl ich ein Jahr nicht in seine Praxis kommen kann. Im Gegenzug nimmt sie meine Krankenkassenkarte zurück nach Deutschland, welche er dann durch den Leser zieht. Während meine Eltern - von Russland aus - den Kopf hinter der Mission bildeten, waren es meine Schwestern und mein Schwager, die sich mit dem Arzt in Verbindung setzten und mir meine Medikamente besorgten. Meine Schwester musste dafür mit dem Zug einen Umweg von einem Ende Deutschlands bis zum anderen fahren und das Insulin, in der Hoffnung nicht vom Zoll ertappt zu werden, im Koffer transportieren. Und letztendlich stand sie dann mit dem Insulin für mehr als die nächsten 4 Monate vor der Tür.
All diese Probleme, die meine Diabetes mit sich bringt, machen mich wütend und traurig. Während es für übliche gesundheitliche Einschränkungen tausende Initiativen gibt, fällt Diabetes irgendwie einfach unten durch. Ich denke, dass es daran liegt, dass Diabetes Typ 1 eine nicht alltägliche Krankheit ist. Aber, dass es so schwer für Erkrankte ist, eine solche akademische Chance wahrzunehmen, erscheint mir einfach unglaublich ungerecht. Dass noch nicht viele diese Umwege gegangen sind, zeigen die spärlichen Google-Ergebnisse und die Ahnungslosigkeit der zuständigen Mitarbeiter bei Krankenkassen. Ich hoffe sehr, dass diese Barrikaden in Zukunft abgebaut werden, denn nicht jeder hat das Glück, eine so unglaublich hilfsbereite Familie zu haben. Ich habe jedenfalls drei Dinge gelernt:
1. Das Preise für Medizin in den USA sind eine Schande.
2. Ich bin unglaublich dankbar dafür, so tolle Menschen in meiner Familie zu haben.
3. Verlasse dich niemals auf die Ergebnisse bei Google.
Und jetzt genieße ich jeden Shot Insulin in vollsten Zügen. Cheers!