Samstag, 19. November 2016

Please don't make America "great again"

Manchmal habe ich das Gefühl, dass der US-amerikanische Wahlkampf in Deutschland stärker diskutiert wurde, als in den USA selbst. Jeder hat hier eine Meinung dazu, da bin ich mir sicher. Aber niemand spricht darüber. Das Thema wird totgeschwiegen, weil jeder genau weiß: Wenn ich meine Meinung äußere, stehen durchschnittlich 50% der Anwesenden gegen mich. Und viele Menschen hier scheinen nicht aus der Reihe tanzen zu wollen. Während Individualität und Auffallen in Deutschland oft eher positiv gesehen werden, habe ich das Gefühl, dass jemand mit fester, eigensinniger Meinung - zumindest in Michigan - eher negativ auffällt.
Vielleicht ist auch das der Grund dafür, dass hier bis zuletzt niemand damit so richtig damit gerechnet hat, dass Trump die Wahl gewinnen würde. Schließlich haben die Medien vermittelt, dass Hillary Clinton im Grunde die einzige Option sei - und gegen den öffentlichen Diskurs stellt man sich hier nun mal ungern. Die Menschen, die mir als sehr offen mit ihrer Meinung auffielen, waren hauptsächlich Professoren und internationale Studierende. Wenn ich dann mal Diskussionen mitbekam, dann hieß es immer "Clinton muss Präsidentin werden!" Menschen, die sich zu Trump bekannten, traf ich kaum. Dass es sie gibt, machte sich aber durch mit Kreide gemalte Statements auf dem Boden bemerkbar. Am Tag der Wahl hatten ein paar Studenten ein großes Kreidebild auf dem Gehweg vom Campus gemalt, das sagte "History has its eyes on you. Go vote". Jemand anderes hatte dann nachträglich hinzugefügt "for Trump!".
"History has its eyes on you. Vote ... for Trump"
Während der Auswertung hing ich bis zum bitteren Ende vor dem Bildschirm und chattete parallel mit Freunden. Wir regten uns gemeinsam auf, wie so etwas passieren konnte - schließlich war recht schnell abzusehen, wer den Sieg für sich gewinnen würde. Und ich frage mich immer noch: Wie konnte das passieren? Seit der Wahl zerbreche ich mir tagtäglich den Kopf darüber. Und ich bin zu einigen Schlüssen gekommen:
Wenn man hier in den großen Supermärkten wie Meijer oder Walmart einkaufen geht, dann fällt schnell auf: Viele Amerikaner haben ein ganz anderes Einkaufsverhalten, als ich es aus Deutschland gewohnt bin. Wenn man in den Supermarkt geht, hat man oft das Gefühl von völliger Reizüberflutung. Die Produktaufschriften überschlagen sich mit fettgedruckten Wörtern wie "LARGE", "EXTRA BIG", "UNBREAKABLE" etc. Und das sind die Produkte, zu denen viele Menschen völlig blind greifen, ohne dabei auf die Inhaltsstoffe oder die Qualität der Produkte zu achten. Und genau dieses Einkaufsverhalten hat auch Trump genutzt.
Trump verwendete bei seinen Reden immer sehr kurze Sätze, mit vielen einfachen Wörtern. Er wiederholte dramatische Aussagen oft bis zu drei Mal hintereinander, benutzte Wörter wie "stupid", "loser", "dangerous", "tremendous" und "huge". Ausdrücke, die nicht nur eine starke Wirkung haben, sondern auch leicht für jedermann zu verstehen sind. Clinton hingegen benutzte Wörter und Sätze, die man nur dann einordnen kann, wenn man sich bereits mit dem politischen Diskurs auseinandergesetzt hat. Was machen also viele Amerikaner? Sie "kaufen" sich den Präsidenten ein, der am lautesten "LARGE" und "UNBREAKABLE" schreit, anstatt sich darüber zu informieren, was eigentlich in der Verpackung steckt. Trump ist ein Geschäftsmann, er weiß wie er sich zu verkaufen hat. Er weiß, was die Menschen hören wollen.
Ich spreche hier natürlich nicht von der Allgemeinheit der Amerikaner. Es ist schließlich nicht zu übersehen, wie gespalten das Land zurzeit ist. Wie demokratisch ist eine Wahl, in der mehr Menschen für Clinton gestimmt haben, aber durch das Wahlmann-System trotzdem Trump das Ruder in die Hand gedrückt bekommt?
Am Hope College gab es schon innerhalb der ersten Woche nach der Wahl Ausschreitungen gegen Studierende, die Minderheiten angehören. Und das unter der Rechtfertigung der Meinung des neuen Präsidenten... Zu den Minderheiten gehören vor allem dunkelhäutige Studierende und Hispanics. Eine der Residence Halls, in der hauptsächlich internationale Studierende aus Südamerika wohnen, wird nun rund um die Uhr von Security bewacht, um den Studierenden die Sicherheit zu gewähren, die hier nicht mehr selbstverständlich scheint. Ich habe so gut wie nie Vertreter von Trump getroffen, aber plötzlich versetzen sie den ganzen Campus in Aufruhr. 
Zum Glück hat das College auf diese Probleme aber gut reagiert: Es gab nicht nur Versammlungen, in denen man über die Wahlergebnisse sprechen konnte, sondern auch (vor allem für Internationals) die Möglichkeit ein persönliches Gespräch zu suchen, um über Angst und Belastung zu sprechen.
Das Team, mit dem ich Deutschland repräsentierte.
 Der Präsident des Colleges hat eine lange Email an die Studierenden gesendet, in der er dazu aufrief die Vielfalt am Hope College zu schätzen und zu schützen. Diese Reaktionen der Colleges fand ich sehr angemessen und gut! Zwei Wochen nach der Wahl gab es eine Veranstaltung vom College, bei der alle möglichen Kulturen kreativ durch Tänze, Gesang oder Gedichte repräsentiert wurden - das perfekte Timing. Auch ein paar Deutschstudenten und ich haben Deutschland repräsentiert, in dem wir ein selbstgeschriebenes Gedicht über deutsche Klischees vortrugen. Ich werde es in einem anderen Blog-Beitrag hochladen.
Man kann an der allgemeinen Stimmung spüren, wie die Wahlen die Bevölkerung in zwei Hälften reißen. Es ist traurig und schade. Die Menschen, die bald Trump als Präsidenten haben werden, sind zum großen Teil Nachfahren von Menschen, die einst nach Amerika flohen, um der politischen Verfolgung im eigenen Land zu entkommen. Amerika stand mal für Freiheit. Die Freiheitsstatue hat eine Inschrift, die besagt: "Give me your tired, your poor, your huddled masses yearning to breathe free, the wretched refuse of your teeming shore. Send these, the homeless, tempest-tossed to me, I lift my lamp beside the golden door!" Trump tritt mit seinen Vorsätzen die Geschichte Amerikas mit Füßen. Ich wünsche Amerika und der restlichen Welt, dass Trump nicht mit all dem, was er in seinem Wahlkampf gepredigt hat, durchkommen wird.

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