Freitag, 14. Oktober 2016

Mit Diabetes in die USA - Just (don't) do it!

Dafür, dass mir die Ärzte damals versprachen "Du wirst, auch mit Diabetes, ein ganz normales Leben wie jeder andere führen!", ist diese Krankheit ein viel zu zentrales Thema in meinem Alltag. Da ich es aber nicht einsehe, mein ganzen Leben Kompromisse zu schließen, laufe ich - was meine Diabetes angeht - immer mal wieder gern mit dem Kopf durch die Wand:
Als ich endlich die Zusage für mein Stipendium am Hope College hatte, musste ich mich also auch damit beschäftigen, wie ich in dieser Zeit meine Krankheit bezahlen würde. Ich telefonierte Krankenkasse um Krankenkasse ab, aber mit jedem Anruf, bekam ich eine weitere Absage: Die Krankenkasse waren alle dazu bereit mich für unvorhersehbare Krankheiten und Unfälle zu versichern, aber unter der Bedingung, dass jegliche Kosten meiner Diabetes ausgeschlossen wären. Ein ganz besonders freundlicher Mitarbeiter der privaten Partner-Krankenversicherung meiner KV fasste meinen Fall im besonders sympathischen Versicherungsangestellten-Ton so zusammen: "Wir werden uns ganz bestimmt keinen Schaden einkaufen - und bei allem Respekt, ökonomisch gesehen, sind Sie genau das für uns."
Zwischenzeitlich dachte ich, dass sich mein ganzes Auslandsjahr damit für mich erledigt hätte, denn es steht außer Frage, dass all die Dinge, die ich benötige (wie Insulin, Verbrauchsmaterial für die Insulinpumpe, Arztbesuche, ...), selbst in Deutschland auf Dauer unbezahlbar sind, wenn man diese Kosten privat tragen muss.
Da man in Deutschland aber nicht nur eine Versicherungspflicht, sondern auch ein Recht auf Versicherung hat, setzte ich mich mit meiner deutschen Krankenversicherung in Verbindung. Um nicht zu lügen: Auch diese versuchten erst einmal mich abzuwimmeln, aber hier profitierte ich dann einmal von meiner Sturheit bezüglich meines Lebens mit Diabetes. Ich fand heraus, dass die Krankenkasse gesetzlich dazu verpflichtet ist, meine Medizinkosten zu übernehmen, wenn ich mindestens drei Absagen von Krankenkassen für Auslandsversicherungen nachweisen könne. Ich nervte die Mitarbeiter der Kasse also so lange, bis wir uns auf den Deal einigten, dass sie die Kosten für meine Diabetes zumindest in dem Ausmaß der deutschen Kosten decken würden. Keine perfekte Lösung, aber besser als nichts.
Die Kosten für Insulin in Deutschland.
In Deutschland darf ein Arzt nur dann Rezepte verschreiben, wenn der Patient mindestens einmal im Quartal in die Sprechstunde des Arztes kommt. Und auch die Mengen an Medikamenten, die ein Arzt verschreiben darf, sind strikt begrenzt. Mit aller Kraft versuchte ich die Krankenkasse dazu bewegen, in meinem besonderen Fall eine Ausnahme zu machen, sodass ich genug Insulin für ein Jahr in die USA mitnehmen könnte. Aber es scheint, dass jeder Mitarbeiter der Krankenkasse Hase heißt und von nichts weiß - mir konnte jedenfalls niemand eine vernünftige Beratung gewähren. 
Die Kosten für Insulin in den USA.
Um die Gesetzte der Ärzte zu umgehen, probierte ich es also mit einem anderen Deal: Ich versuchte die Krankenkasse dazu zu überreden, einzuwilligen, dass ich zu verschiedenen Ärzten ginge, die mir alle unabhängig von einander Insulin verschreiben könnten. Da ich das Insulin aber mit meiner Krankenkassen-Karte bezahle, brauchte ich die Einwilligung der KV, dass sie die Kosten übernehmen würden. Es ging nur um diese eine Zusage: "Ja, wir werden für die Kosten der Jahresmenge an Insulin auf einen Schlag aufkommen".
Niemand (!) konnte mir diese Zusage geben. Ebenso wenig konnte mir jemand sagen, dass es nicht möglich ist. Selbst, als ich mich von einem Vorgesetzten zum nächsten und über alle möglichen Fachabteilungen hinwegtelefonierte, war es niemandem möglich mir eine verbindliche (und freundliche) Zu- oder Absage zu geben.
Die einzige Zusage, die ich mir sichern konnte war, dass die Versicherung einem einjährigen Dauerrezept für Verbrauchsmaterial der Insulinpumpe zustimmte. Damit konnte ich sichern, dass diese Produkte in regelmäßigen Abständen zu meiner Mutter geschickt werden, ohne dass ich zum Arzt muss. Meine Mutter schickt diese Produkte dann wiederum zu mir. Ja - es ist alles wahnsinnig kompliziert.

So kam es dann, dass ich mit nur recht wenig Insulin und anderem Diabetes-Kram in die USA loszog. Die Einreise war (wie gewohnt) eine einzige Tortur. Dieses Mal wurden meine Medikamente nicht nur einmal, sondern drei Mal durch den Security-Check gejagt (auch beim dritten Mal wandelte es sich nicht zu Sprengstoff...) und wurden dann auch direkt auf dem Band vergessen, sodass erst niemand wusste, wo meine Sachen nun waren. Ich hätte beinahe meinen Anschlussflug verpasst - hier nochmal ein herzliches Dankeschön an den Flughafen Manchester.
Seitdem ich in den USA war, war das alles dann kein Problem mehr. Ich hatte Insulin für die ersten zwei Monate dabei und hatte bereits einen Arzt gefunden, der mir mein Rezept verschreiben würde. Hiervon war ich auch sehr begeistert, denn das Hope College hat hier für jeden Studenten eine Art Fond, der sichert, dass man (auch ohne Versicherung) keinen Arztbesuch on Campus bezahlen muss. Ich bekam sogar eine "Rabatt-Karte", mit der ich Prozente auf Insulin bekomme. Und ja: Wir haben eine eigene Arztpraxis, eigene Krankenschwestern und einen eigenen Arzt in einem kleinen College mit 3000 Studierenden...
In Deutschland hatte ich mich bereits informiert: Allen Informationen (via Google) zufolge, würde mich das Insulin rund 200€ mehr kosten, als in Deutschland. Teuer aber machbar. Ich ging also zur Pharmacy, gab ihnen meine Rabattkarte und fiel fast hinten über, als mir die Apothekerin mit einem strahlenden amerikanischen Lächeln entgegenflötete "That's a total of $1200 with your discount card". Zum Vergleich: In Deutschland zahlt man für die gleiche Menge Insulin (ohne Rabatt!) zwischen 200 und 300 Euro.
An dieser Stelle hatte ich einen meiner ersten ernsthaften mentalen Breakdowns. Ich fühlte mich nicht nur ungerecht behandelt, sondern hatte auch ein Gefühl von Panik im Körper, da es hier schließlich um das Mittel geht, das mich am leben hält.
Und ganz ehrlich: Wer weiß, ob ich mein Auslandsjahr sogar abbrechen hätte müssen, wenn ich nicht so eine umwerfende Familie hätte.
Meine Eltern wollten die amerikanischen Kosten übernehmen. Aber ganz abgesehen davon, dass ich mit dem Stipendium finanziell unabhängig sein wollte, wäre es mir gar nicht möglich, so viel mit meiner 1000€-limitierten Studenten-Kreditkarte zu bezahlen. Und all das Geld aus dem Geldautomaten zu beschaffen, hätte Wochen gedauert, da ich auch ein Limit habe, wie viel ich pro Tag/Woche abheben kann.
Meine Helden! Danke! <3
Meine liebe, liebe Familie setzte dann aber mit vereinten Kräften alles in Bewegung, um mir zu helfen: Meine Schwester, welche mich eine Woche später eh besuchen sollte, brachte einen Arzt in Beratung mit meinen Eltern dazu, Rezepte für Insulin auszustellen, obwohl ich ein Jahr nicht in seine Praxis kommen kann. Im Gegenzug nimmt sie meine Krankenkassenkarte zurück nach Deutschland, welche er dann durch den Leser zieht. Während meine Eltern - von Russland aus - den Kopf hinter der Mission bildeten, waren es meine Schwestern und mein Schwager, die sich mit dem Arzt in Verbindung setzten und mir meine Medikamente besorgten. Meine Schwester musste dafür mit dem Zug einen Umweg von einem Ende Deutschlands bis zum anderen fahren und das Insulin, in der Hoffnung nicht vom Zoll ertappt zu werden, im Koffer transportieren. Und letztendlich stand sie dann mit dem Insulin für mehr als die nächsten 4 Monate vor der Tür.
All diese Probleme, die meine Diabetes mit sich bringt, machen mich wütend und traurig. Während es für übliche gesundheitliche Einschränkungen tausende Initiativen gibt, fällt Diabetes irgendwie einfach unten durch. Ich denke, dass es daran liegt, dass Diabetes Typ 1 eine nicht alltägliche Krankheit ist. Aber, dass es so schwer für Erkrankte ist, eine solche akademische Chance wahrzunehmen, erscheint mir einfach unglaublich ungerecht. Dass noch nicht viele diese Umwege gegangen sind, zeigen die spärlichen Google-Ergebnisse und die Ahnungslosigkeit der zuständigen Mitarbeiter bei Krankenkassen. Ich hoffe sehr, dass diese Barrikaden in Zukunft abgebaut werden, denn nicht jeder hat das Glück, eine so unglaublich hilfsbereite Familie zu haben. Ich habe jedenfalls drei Dinge gelernt:
1. Das Preise für Medizin in den USA sind eine Schande.
2. Ich bin unglaublich dankbar dafür, so tolle Menschen in meiner Familie zu haben.
3. Verlasse dich niemals auf die Ergebnisse bei Google.
Und jetzt genieße ich jeden Shot Insulin in vollsten Zügen. Cheers!

10 Kommentare:

  1. koennte hilfreich sein: www.collegediabetesnetwork.org

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    1. Ich kam über Ihren Bericht auf SpiegelOnline auf Ihren Blog. Vorab: Ich bin Apotheker.

      Es ist nicht ganz korrekt, wenn Sie schreiben, dass ein Arzt nur den Dreimonatsbedarf an Insulin verschreiben darf. Er kann Ihnen nur einen Dreimonatsbedarf verschreiben, wenn er das auf dem Muster 16 (das rosa Rezept) verschreibt, da ihn die Kasse ansonsten in Regress nimmt. Auf einem Privatrezept kann er Ihnen einen Bedarf verschreiben, der für Ihren gesamten Aufenthalt in den USA ausreichen sollte. Da ist er der Kasse gegenüber nicht regresspflichtig.

      Sie schreiben, dass Ihnen die Kasse zugesichert hat, dass sie die Behandlungskosten übernehmen würde (schauen Sie sich genau an, was auf dem entsprechenden Bescheid steht). Sinnvoll wäre es daher, das Privatrezept in einer Apotheke einzureichen und sich den gesamten Vorrat auf einmal mitzunehmen. Hinweisen will ich darauf, dass sie die gesamten Kosten zunächst selbst tragen. Anschließend nehmen Sie das quittierte Privatrezept und reichen dies bei der Kasse mit der Bitte um Rückerstattung ein - ähnlich wie dies ein Privatpatient in D macht.

      Wenn Sie eine nette Apotheke in Ihrer Nähe in D haben, können Sie dort vielleicht auch eine sogenannte "Kostenübernahmeerklärung" unterschreiben. Das hat für Sie den Charme, dass die Kasse der Apotheke direkt die Kosten für Ihre Medikation überweist und sie selbst da nichts vorstrecken müssen.

      Hinweisen will ich darauf, dass es in den USA nicht erlaubt ist, Medikamente aus dem Ausland in größerer Menge einzuführen, da diese in den USA nicht zugelassen sind. Eventuell können Sie bei der dortigen Gesundheitsbehörde eine Ausnahmegenehmigung erhalten (evtl. ist die amerikanische FDA - Food and Drug Administration dafür zuständig). Machen Sie das auf jeden Fall, da es ansonsten passieren kann, dass man Ihnen am Zoll die Medikamente abnimmt und Ihnen evtl. noch Arzneimittelschmuggel vorwerfen könnte. Vielleicht haben Ihre Kommilitonen in den USA irgendwelche Ideen, wo man eine derartige Erlaubnis beantragen kann.

      Das Ganze von mir geschriebene ist als Hilfe gedacht.

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    2. Hallo,

      vielen Dank für die lieben und sehr hilfreichen Tipps :)
      Das werde ich mir noch einmal genauer anschauen!
      Der Artikel basiert allerdings lediglich auf den Erfahrungen, die ich gesammelt habe und den Informationen, die ich von Ärzten, Mitarbeitern der Krankenkasse und anderen Apothekern bekommen habe.

      Liebe Grüße,
      Lea

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  2. Hallo Lea,

    ich bin grad auf spiegel.de über deinen Bericht gestolpert (Huch, die kenn' ich doch...!). Ich wünsche dir noch viel Spass in den Staaten und bis demnächst in Göttingen.

    Viele Grüsse aus Norwegen
    Sebastian (Wer? Ach, der studiert doch mit Marius Französisch)

    www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/mit-diabetes-in-die-usa-eine-studentin-erzaehlt-a-1119086.html

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  3. Hab den Artikel bei einem großen Nachrichtenportal gelesen. Sehr gut geschrieben; hat mich berührt ;) Sehr schön das alles gut ausgegangen ist.

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  4. Wenn ich nicht irre, ist die kanadische Grenze nur ca 5 Auto-Stunden von deinem College entfernt. Da würdest du die Medikamente etwa zum selben Preis wie in Deutschland bekommen.

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  5. Habe gerade den Artikel bei Spiegel online gelesen - und könnte platzen vor Wut! Unfassbar, was für Steine Ihnen in den Weg gelegt wurden und werden. Da fällt mir echt nichts mehr zu ein. Ich ziehe den Hut vor Ihrer Energie, für das Auslandssemester zu kämpfen. Ganz großartig.
    Meine Tochter hat ebenfalls Diabetes Typ 1 und möchte in ein paar Jahren sicher auch mal ins Ausland. Bisher dachte ich, dass wäre auf jeden Fall machbar - jetzt graut's mir vor dem, was da auf uns zukommen könnte.....
    Ich drücke die Daumen, dass die tollen Tipps des Apothekers weiter oben womöglich weiterhelfen und der Rest des Aufenthaltes in den USA in Sachen Diabetes ohne weiteren Stress abläuft!

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    1. Vielen Dank für den Zuspruch! :)
      Ich würde mich von meiner Diabetes trotzdem nicht abhalten lassen. Denn genau das ist es ja, was mich so sehr stört: Dass die akademische Chancengleichheit zwischen Diabetikern oder generell chronisch Erkrankten und gesunden Menschen fehlt. Und davon sollte man sich nicht unterkriegen lassen, sondern ein Zeichen setzen! Wer weiß, vielleicht hat Ihre Tochter bei den Verhandlungen mit der KK ja mehr Glück? Den Kommentaren unter dem Artikel nach zu urteilen, gibt es offensichtlich auch Menschen, die positivere Erfahrungen mit der medizinischen Versorgung im Ausland gemacht haben, als ich. So oder so: Nicht aufhalten lassen!
      Ganz viel Glück dabei!

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  6. Liebe Lea Vehling,
    ich wollte nur wissen ob das geklappt hat mit dem Postversand in den USA. Meine Tochter möchte gerne als Austauschschülerin für eine Jahr in die USA. Sie hat einen künstlichen Darmausgang und benötigt daher Stomabeutel und Zubehör. Das würden wir auch gerne per Post schicken.
    Ihnen wünsche ich weiterhin viel Erfolg und alles Gute!
    Und natürlich: Frohe Weihnachten!

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    1. Halli Hallo,

      tut mir Leid, dass die Antwort erst so spät kommt! Ich war auf Reisen... Ja, das hat ohne Weiteres geklappt. So lange es sich nicht um Medizin handelt, sondern um Zubehör, also Plastik- und Papier-Sachen etc. ist das kein Problem!
      Viel Erfolg bei dem Auslandsjahr und ganz viel Spaß :)

      Lea

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